Ein Doppelwohnsitz führt im Regelfall in beiden Ländern zur sogenannten unbeschränkten Steuerpflicht, was bedeutet, dass das weltweite Einkommen einer Person sowohl in der Schweiz also auch in Deutschland besteuert werden kann. Die daraus resultierende doppelte Inanspruchnahme soll durch das Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz (DBA) vermieden werden. Im DBA wird zunächst für die steuerpflichtige Person der «Ansässigkeitsstaat» bestimmt, bei Ehegatten/Partnern für jeden getrennt.9 Auf die Anmeldung beim Einwohnermeldeamt kommt es dabei grundsätzlich nicht an.10 Bedeutsam ist vielmehr, ob die Person in einer der beiden Staaten eine «ständige Wohnstätte» hat. Aus der Rechtsprechung lässt sich keine feste Anzahl an Tagen herleiten, ab der eine Wohnung zu einer ständigen Wohnstätte wird. Eine unregelmässige Nutzung an nur wenigen Tagen im Jahr ist aber hierfür nicht ausreichend, jedoch ist bei einer Nutzung von 50 Tagen von einer ständigen Wohnstätte auszugehen.11 Ist das in beiden Staaten der Fall, bestimmt sich die Ansässigkeit nach dem Mittelpunkt der Lebensinteressen, also dem Staat, zu dem man die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat. Der persönliche Bezug wird durch die familiären Bindungen, Pflege des Freundes- und Bekanntenkreises sowie den Besuch von kulturellen und sportlichen Veranstaltungen geprägt. Die wirtschaftlichen Interessen werden durch örtlich fixierte Einkunftsquellen gekennzeichnet, wobei der Arbeitsstätte eines Arbeitnehmers stets eine grosse Bedeutung zukommt.12 Auch Grundbesitz kann eine starke Bindung an den Ort der Belegenheit begründen. In der Praxis macht oft der Nachweis von persönlichen Interessen Schwierigkeiten, weshalb es zu empfehlen ist, beispielsweise Eintrittskarten aufzubewahren und auch einen Tageskalender zu führen, in dem Übernachtungsort und Aktivitäten notiert sind. Sofern beide Staaten davon ausgehen, dass der Lebensmittelpunkt bei ihnen liegt, ist in einem Verständigungsverfahren nach dem DBA eine Lösung zu suchen. Das kann allerdings mehrere Jahre dauern, in denen dann eine zeitweise Doppelbesteuerung eintreten kann. In der Praxis der Verständigungsverfahren wird häufig angenommen, dass den persönlichen Interessen eine höhere Bedeutung zuzumessen sei, als den wirtschaftlichen. Dies ist allerdings weder durch den Abkommenswortlaut, noch durch die Rechtsprechung gedeckt.13 Falls der Lebensmittelpunkt nicht bestimmt werden kann oder in keinem der Staaten (Deutschland/ Schweiz) eine ständige Wohnstätte besteht, würde der gewöhnliche Aufenthalt oder – falls auch dies kein Ergebnis bringt – die Staatsangehörigkeit über die Ansässigkeit entscheiden. Der zu bestimmende Lebensmittelpunkt ist praktisch aber der bedeutsamste Fall.14
1 Schweizerisches Bundesamt für Statistik, Ausländische Wohnbevölkerung am 31.12.2017, veröffentlicht am 31.08.2018.
2 Schweizerisches Bundesamt für Statistik, Medienmitteilung «Auslandsschweizer im Jahr 2017» vom 05.04.2018.
3 Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (im Folgenden: «FZA»).
4 Art. 20 Abs. 2 S. 1 IPRG (CH), 23 Abs. 2 ZGB (CH).
5 § 7 Bürgerliches Gesetzbuch (D).
6 Art. 10 Ausländergesetz, AuG (CH).
7 Vgl. Art. 24 Anhang I FZA.
8 Art. 7 lit. f FZA, Art. 2 Bewilligungsgesetz, BewG (CH).
9 Art. 4 Abs. 2 DBA D-CH.
10 Ständige Rechtsprechung seit BFH, Urteil vom 14.11.1969 – III R 95/68 –, BStBl II 1970, 153.
11 BFH, Urteil vom 05.06.2007 – I R 22/06 –, BStBl II 2007, 812.
12 Hardt in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerungsabkommen, Schweiz Art. 4 Rz. 75.
13 Flick/Wassermeyer/Kempermann, Art. 4 RN 45 mit Verweis auf BFH, Urteil vom 23.07.1971 – III R 60/70 –, BStBl II 1971, 758.
14 Zu der «überdachenden Besteuerung», die bei Vorliegen einer ständigen Wohnstätte in Deutschland eingreift, siehe Happe/Mittermaier/Stalder, Steuerliche Überlegungen vor dem Wegzug und dem Zuzug zwischen Deutschland und der Schweiz, CH-D Wirtschaft 1/2018.